Von Beate Lambrich
Frankfurt. Sie gilt als die Begründerin der deutschen Insektenkunde.
Ihr, einer naturwissenschaftlichen Autodidaktin, gelang es, den
Erkenntnisstand der Naturwissenschaft bedeutend zu erweitern: Maria Sibylla
Merian. In Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum sind jetzt ihre
"Frankfurter Naturalienkabinette des 18. Jahrhunderts" im Senckenberg-Museum
zu besichtigen. Die Ausstellung ist von morgen, 16. Dezember, an geöffnet.
Heute wird deshalb auch ein Raum im Museum nach ihr benannt.
Maria Sibylla Merian war Forscherin, Künstlerin und Unternehmerin, dazu
Hausfrau und allein erziehende Mutter zweier Töchter. Ihre Biografie
entspricht nicht den herkömmlichen weiblichen Lebensläufen ihrer Zeit. Sie
wurde 1647 in Frankfurt als jüngstes von sechs Kindern geboren. Ihr Vater
war der aus der Schweiz stammende Mathäus Merian, der Ältere. Schon als Kind
begann Maria Sibylla zu malen und zu zeichnen. Autor Christian Setzepfandt
erzählt in seinem Buch "Geheimnisvolles Frankfurt" (Wartberg-Verlag) die
Anekdote, dass sie sich als Mädchen in den Garten eines Nachbarn schlich, um
die damals sehr teuren und seltenen Tulpen zu stehlen, damit sie diese
abzeichnen konnte.
Angeregt durch die Arbeit des Stiefvaters Jakob Marrel, der in seinen
Stillleben auch Insekten abbildete, begann sie schon als Kind mit dem
Studium dieser Tiere. Sie züchtete Seidenraupen und beobachtete den Vorgang
der Metamorphose über die Puppe zum Falter.
Auch andere Frauen sammelten zu dieser Zeit Raupen, Schmetterlinge und
andere Insekten. Doch Maria Sibylla Merian erläuterte im Unterschied dazu
ihre Zeichnungen mit genauen Beschreibungen, sie ordnete den Insekten
Kategorien zu. Dies war der Beginn einer genauen Katalogisierung. Zusätzlich
lernte sie Latein, um sich in naturwissenschaftlichen Abhandlungen
fortbilden zu können. 1670 ging sie mit ihrem Mann nach Nürnberg und
gründete kurz darauf eine Stick- und Malschule für Damen. Diese belieferte
sie mittels eines kleinen Handels mit Farben und Mal-Utensilien. Ihre "Jungfern-Companie"
nannte sie den Kreis, wie aus ihren Briefen hervorgeht.
Mit ihren naturwissenschaftlichen Beobachtungen betrat Maria Sibylla Merian
völliges Neuland. Bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Entstehung
von Insekten mit einer Urzeugungstheorie erklärt. Demnach entstanden die
Tiere aus Schlamm und faulenden organischen Stoffen. Erst 1668 widerlegte
der italienische Forscher Francesco Redi durch Experimente diese Theorie und
wies nach, dass sich Insekten aus Eiern entwickeln.
Merians erstes Blumenbuch erschien 1675. Ihre Arbeitsweise als frühe
Entomologin und ihre künstlerische Darstellungsweise missfielen damals einer
systematisierenden Biologie und den damit sich herausbildenden Konventionen
des wissenschaftlichen Abbildens. Die Insektenforscherin war zugleich
Verlegerin ihrer eigenen naturkundlichen Bücher und sie handelte mit ihren
Werken – Aquarelle und Bücher – sowie mit präparierten Tieren wie Insekten
und Reptilien.
Ihre Kunden waren Kunstliebhaber und Sammler, die sich in ihren Häusern
entweder "Universalsammlungen" mit Objekten der Kunst, der Geschichte und
der Natur oder aber eine Spezialsammlung in Form eines Naturalienkabinetts
anlegten. Solche Sammlungen wurden seit der Renaissance bis in das
ausgehende 18. Jahrhundert von Fürsten und reichen Bürgern zusammen
getragen. Die Entdeckung der Welt führte immer neue unbekannte und exotische
Naturalien in die europäischen Städte und Sammlungen. Die Freude am Objekt,
das Interesse an der Naturgeschichte und das Streben nach Erkenntnis gingen
Hand in Hand.
Im Jahre 1683 erschien Merians erster Insekten-Band: "Der Raupen wunderbare
Verwandlung und sonderbare Blumennahrung". Doch ihr Privatleben verlief
nicht erfolgreich. Die Ehe der Merians war nicht glücklich. 1685 verließ sie
ihren Mann. Nach dem Tod der Mutter im Jahre 1690 brach sie alle Brücken
nach Deutschland ab und zog mit den beiden Töchtern nach Amsterdam. Von dort
aus startete sie das größte Projekt ihres Lebens, eine Reise nach Surinam.
Von Juni 1699 an blieb sie in der Holländischen Zuckerkolonie. Auf dieser zu
damaliger Zeit für eine Frau ungeheuerlichen und einzigartigen Reise
studierte sie die Flora und Fauna des tropischen Landes, sammelte und
zeichnete Pflanzen, Insekten und kleine Reptilien. Doch schon 1701 musste
sie Surinam verlassen, sie hatte sich mit einer tropischen Krankheit,
wahrscheinlich der Malaria, infiziert. Nach ihrer Rückkehr nach Amsterdam
wertete sie ihre Studien aus. 1705 erschien das Werk "Metamorphosis
Insectorum Surinamensium" mit 60 Kupferstichen. Damit lernten die Europäer
erstmals in einem großen Umfang mit der exotischen Schmetterlingswelt
Mittelamerikas kennten. Maria Sibylla Merian starb am 13. Januar 1717 in
Amsterdam. Sie wurde in einem Armengrab beerdigt.
Das Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg als Ort der
Biodiversitätsforschung blickt mit der neuen Ausstellung über Maria Sibylla
Merian und den naturkundlichen Sammlungen des 18. Jahrhunderts, den "Privatcabinetten",
in eine Zeit vor seiner Gründung, und damit zurück in eine Phase, der die
Idee von der Naturgeschichte und noch nicht die Auffassung der modernen
Naturwissenschaft zu Grunde lag.